Filmtipps aus der Medienarbeit im Haus kirchlicher Dienste

Germans & Jews – eine neue Perspektive

Dokumentation, USA/ Deutschland, 2016, Regie: Janina Quint und Tal Recanati, Laufzeit 76 Minuten, empfohlen ab 14 Jahren

Anlässlich eines gemeinsamen Abendessens von in den USA und in Deutschland lebenden Juden geht die Dokumentation der Frage nach, wie es um die jüdische Gemeinschaft in Deutschland 75 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg bestellt ist. Was trennt und was verbindet jüdische und nicht-jüdische Deutsche? Hat sich das Zusammenleben normalisiert? Welchen Einfluss haben neue nationalsozialistische Tendenzen und was sehen jüdische Menschen aus dem Ausland, wenn sie auf Deutschland schauen? Teilnehmende schildern Erlebnisse aus Familiengeschichten, begründen, warum Sie in Deutschland (wieder) leben oder sich das nicht vorstellen können.

Der scheinbare Widerspruch des Titels, Religion und Nationalität gleichzusetzen wird in diesen Beiträgen erklärt. Denn auch wenn heute in Berlin die am schnellsten wachsende jüdische Bevölkerung Europas lebt, wird sie häufig zunächst über ihre Religionszugehörigkeit definiert. Der Film ist gleichermaßen unbequem und provokant, unerwartet und aufschlussreich. Gerade deswegen regt er, auch vor dem Hintergrund neuerer antisemitischer Gewalttaten in Deutschland zur Diskussion und zur Versöhnung an. Geeignet ist er für Schüler*innen ab der 10. Klasse, der Sekundarstufe 2 sowie für Berufsschulen. Er steht in der Medienarbeit zur Ausleihe zur Verfügung.

Sorry We Missed You

  • Sozialdrama
  • Großbritannien, 2019
  • Lauflänge 97 Minuten
  • FSK 12
  • Regie: Ken Loach
  • Drehbuch: Paul Laverty
  • Darsteller:
  • Kris Hitchen (Ricky)
  • Debbie Honeywood (Abby)
  • Rhys Stone (Seb)
  • Katie Proctor (Liza Jane)

Preise und Auszeichnungen:

Sieger beim St. Louis International Film Festival 2019 als „Best Narrative Feature“
Sieger beim San Sebastián International Film Festival 2019 als „Best European Film“

Sieger beim Ljubljana International Film Festival 2019 als „Best Feature“

Nominiert bei den Filmfestspielen in Cannes für die goldene Palme und bei den BAFTA-Awards als „Outstanding British Film of the Year“. 

Kritiken:

Anke Sterneborg von epd-Film schrieb am 24.01.2020 zu Sorry We Missed You: „Ken Loach nimmt sich in seinem neuen Film der »Gig Economy« an und demonstriert am Beispiel einer Familie die Fallstricke der falschen Versprechen von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit“.   (https://www.epd-film.de/filmkritiken/sorry-we-missed-you)

Silvia Bahl vom katholischen Filmdienst schrieb dazu: „Das Drama über die falschen Versprechen der neoliberalen Arbeitswelt und die Folgen der Selbstausbeutung für die Betroffenen ist in seiner Gesellschaftskritik etwas schlicht; äußerst treffend ist es gleichwohl durch die Einfühlsamkeit seiner Figurenzeichnung und der Erosion des Zusammenhalts in einer Familie.“ (https://www.filmdienst.de/film/details/573124/sorry-we-missed-you#kritik)

Und Carsten Baumgardt von der Filmstart-Redaktion versah seine Kritik mit der Überschrift „Frustriert vom Kapitalismus“ und bemerkte weiter in dem Artikel: „Ken Loachs bewegend-bitteres Sozialdrama Sorry We Missed You ist die totale Kapitulation des linken Filmemachers vor dem Turbo-Kapitalismus. Etwas mehr Subtilität und weniger Formelhaftigkeit hätte seiner frustriert-bitteren Anklage des modernen Arbeitssystem aber womöglich sogar noch mehr Wucht verliehen.“

(http://www.filmstarts.de/kritiken/264872/kritik.html )

Zum Film:

Wir haben Sie leider nicht angetroffen – Sorry We Missed You. Das steht auf den Benachrichtigungskarten, die Paketzusteller ihren Kunden in den Briefkasten werfen, wenn keiner die Tür öffnet. Es ist eine harte Branche, aber Familienvater Ricky Turner hofft auf eine zweite Chance auf dem Arbeitsmarkt. Als Franchisenehmer macht er sich mit einem eigenen Transporter im Auftrag des Paketzustellers PDF (Parcels Delivered Fast) selbstständig. Sechs Tage in der Woche und 14 Stunden täglich liefert er Päckchen und Pakete an freundliche und unfreundliche Menschen, an Adressen, die im Nirgendwo landen oder auf Grundstücken, die von aggressiven Hunden bewacht werden. Seine Frau Abby ist als mobile Krankenpflegerin in einem ähnlich prekären Bereich beschäftigt: Mit einem 0-Stunden-Vertrag kann sie nur die elementarsten, genau definierten Hilfsleistungen bei ihren Patienten abrechnen. Anfahrtszeiten werden nicht vergütet. Deshalb trifft es sie umso härter, dass sie ihr kleines Auto verkaufen muss, um die Anzahlung für Rickys Transporter finanzieren zu können. Aber nach dem Finanzcrash von 2008  hat die kleine Familie keine Rücklagen mehr.

Während beide Eltern in Vollzeit und mit Hingabe für einen Neuanfang und den Traum von einem Eigenheim arbeiten, sind der sechzehnjährige Sohn Seb und die elfjährige Tochter Liza Jane tagsüber sich selbst überlassen. Per Sprachnachricht wird Liza informiert, wo ihr Essen steht und wie sie ihren Tag strukturieren soll. Ihr älterer Bruder entzieht sich der elterlichen Fürsorge mehr und mehr. Frustriert von seiner Lebensrealität und der seiner Freunde kann er in den von den Erwachsenen aufgezeigten Lebensentwürfen für sich keine Perspektive erkennen.

Als Vater Ricky auf einer seiner Touren überfallen wird, gerät das instabile Konstrukt an seine Belastungsgrenze. Unter dem finanziellen Druck und den unbarmherzigen Drohungen seines Auftraggebers trifft er eine Entscheidung.

Hintergrund:

Eigentlich wollte sich Regisseur Ken Loach bereits 2014 nach 50 Jahren aus dem Filmgeschäft zurückziehen. Aber zwei Jahre später führte er in dem Sozialdrama „Ich, Daniel Blake“ erneut Regie. So erfolgreich war der Film, dass er bei den Filmfestspielen in Cannes die goldene Palme gewann. Der Regisseur, der in seinen Filmen die Situation der Arbeiter- und unteren Mittelschicht in Großbritannien zeigt, drehte danach im Alter von 82 Jahren nach dem Drehbuch von Paul Laverty den aktuellen Film Sorry We Missed You.

Darin nimmt er erneut die untere Mittelschicht und in diesem Fall besonders die Gig-Economie ins Visier. Dieser Begriff aus der Unterhaltungsbranche (gig steht für Auftritt), wurde inzwischen auf andere Branchen ausgeweitet. Gemeint sind Menschen, die freiberuflich Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die von Kunden abgerufen werden können, häufig ausschließlich auf Internet-Plattformen. Die damit gewonnene Freiheit hat ihren Preis. Loach beleuchtet in diesem Film gleich zwei der wohl schwierigsten Berufsfelder:

Immer mehr Menschen nutzen die Möglichkeit, sich ihre Einkäufe bequem an die Haustür liefern zu lassen. Nur wenige machen sich Gedanken um die Menschen, die ihnen die Waren aushändigen. In sozialen Medien überwiegt der Ärger über Transporter, die in engen Innenstädten in zweiter Reihe parken, über Zusteller, die Pakete „einfach“ an die Abholstation zurück geben, über Päckchen, die an der Haustür oder anderen Orten ohne Rücksprache abgelegt werden. Aber wie sagt es Rickys brutaler Depotboss Cavin Mahoney (brilliant gespielt von Ross Brewster) so treffend: „Glaubst du, es interessiert auch nur einen Kunden, wie es dir geht? Der Kunde schaut nur auf den Preis. Und die pünktliche Lieferung. Das ist alles, was ihn interessiert.“

Gleiches gilt für den großen Bereich der Care-Arbeit. Auch wenn die Mitarbeitenden in der Corona-Krise den Ehrentitel „systemrelevant“ (und gelegentlichen abendlichen Beifall) erhielten, hat sich bislang an dem  System als solches wenig geändert. Eine Branche verlässt sich auf die Mitmenschlichkeit ihrer Beschäftigten: In immer mehr Fällen sind auch dies (schein-)selbstständige Auftragnehmer*innen. Stillschweigend wird davon ausgegangen, dass eigene Bedürfnisse, ggf.  Freizeit und Familienzeit kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig ist „unser Gesundheitssystem“ (angenehm unpersönlich und schwer zu fassen) nicht willens, den gleichen hohen Standard, den es fordert, auch den dort Tätigen zukommen zu lassen. Ein Dilemma, das mit zunehmendem Alter der Bevölkerung immer mehr an Brisanz gewinnt.

Der Film konzentriert sich ganz auf die kleine Familie: Eng bleibt die Kamera an der jeweiligen Person, folgt ihr in Verladezentren, durch die Rushhour, in öffentliche Verkehrsmittel und überfüllte Krankenhäuser. Man ist ganz bei Abby, wenn sie sich vor dem Besuch eines Patienten Erkältungscreme unter die Nase reibt, um den Geruch besser zu ertragen. Wie sie schauen wir in intimste Lebensbereiche von Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Ihre körperliche Erschöpfung ist greifbar. Parallel rennt der Zuschauer mit Ricky, um Päckchen abzugeben, krempelt die Ärmel des Hemds hoch und zieht den Kopf ein wenig tiefer in die Schulterblätter. Man spürt seine Demütigung und Frustration und freut sich mit ihm an seinen kleinen Erfolgen bei einer Fußballdebatte oder einer Fahrt mit seiner Tochter.

Wie bei Ich, Daniel Blake spielen die Szenen von Sorry We Missed You im  britischen Newcastle, teilweise sogar in den gleichen Straßenzügen. Diese Kulisse unterstreicht die Lebenssituation der

Filmhelden und verleiht dem Film den Charme und die Authentizität einer englischen Arbeiterstadt.

Frauen und Männer

Die Protagonisten des Films sind sehr traditionellen Rollenmustern verpflichtet. Das zieht sich generationenübergreifend durch den Film.

Mutter Abby ist der Fels in der Brandung. Ihre Patienten behandelt sie wie Familienangehörige. Auch der eigenen Familie ist sie für den Alltag zuständig, die Hausaufgaben, den Schulausflug und die unterschiedlichen Lebensrealitäten. Sie weiß, dass das Smartphone des Sohnes mehr ist als nur ein technisches Gadget, sondern vielmehr der Schlüssel zu seiner Welt („Da ist alles von ihm drauf: Seine Kontakte, seine Hausaufgaben, seine Bilder. Das ist sein Leben!“).

Ehemann Ricky verliert sich zunehmend in seiner vermeintlichen Position als Familienoberhaupt. So gerne möchte er die Hauptrolle spielen, als weiser Patriarch die Geschicke seiner Liebsten lenken, aber seine Entscheidungen verursachen Leid für alle Beteiligten. Ob es der Plan ist, den Kleinwagen seiner Frau für die Anzahlung des Transporters zu verkaufen oder sein Traum von einem Eigenheim. Auffällig ist seine Sprachlosigkeit und Unfähigkeit, sich in die Positionen der anderen Familienmitglieder hinein zu versetzen.

Bemerkenswert ist, dass beide Kinder die Rollenvorbilder der Eltern annehmen: Tochter Liza Jane  adaptiert die Rolle der Mutter als Kümmerin, weckt den älteren Bruder zum Schulbesuch, vermittelt zum Vater und räumt das schmutzige Geschirr der schlafenden Eltern in die Küche. Ihr Bruder Seb zeigt nach außen hin die Stärke und Entschlossenheit, die er bei seinem Vater vermisst: Er trifft Entscheidungen für seine Clique und zeigt sich fürsorglich gegenüber Schwester und Freundin.

Trotz des augenscheinlich liebevollen Verhältnisses des Paares zu- und der Familie untereinander, findet kein wirklicher Austausch über Wünsche und Perspektiven statt. Alle Beteiligten sind vollauf mit der Bewältigung der gerade anstehenden Aufgaben beschäftigt, für alles Weitere fehlt die Energie. Diese Sprachlosigkeit trägt im Film zur Eskalation des Konflikts bei. Für deutsche Zuschauende ist nicht ganz klar, ob diese Genderstereotype tatsächlich die englische Lebensrealität abbilden. Mit etwas mehr Diversifikationen und in Teilen subtilerer Darstellung wäre der Film vermutlich noch etwas authentischer geworden.

Der Regisseur:

Ken Loach ist britischer Regisseur und Filmemacher. Seit den Sechzigerjahren hat er eine große Anzahl Filme gedreht und unzählige Auszeichnungen erhalten. Unter anderem für das Dokudrama Cathy come home (1966), Bread and Roses (2000) oder Angels Share (2012). Zuletzt für den Film Ich, Daniel Blake (2016), der bei den Filmfestspielen in Cannes mit der goldenen Palme ausgezeichnet wurde.

Ken Loachs Filme setzen sich sozialkritisch mit dem Leben der sogenannten „Kleinen Leute“ auseinander. Liebevoll beleuchtet er Menschen, die, häufig ohne eigenes Verschulden, in eine finanzielle Schieflage geraten sind und unzählige Versuche unternehmen, sich daraus aus eigener Kraft wieder zu befreien. Seit vielen Jahren arbeitet er dazu erfolgreich mit dem Drehbuchautor Paul Laverty zusammen. Während seine früheren Filme, wie z.B. Angels Share (2012) noch Hoffnung zeigen, dass sich an trostlosen Lebensumständen mit Einsatz und Mut etwas ändern lässt, wird spätestens seit Ich, Daniel Blake deutlich, dass der Regisseur den Glauben an einen wie auch immer gearteten Sozialstaat aufgegeben hat. Seine Filme werden zur Anklage gegen die Dauerökonomisierung des gesamten Lebens.

In einem Interview mit Michael Ranze vom katholischen „Filmdienst“ am 3. Februar 2020 erklärt Ken Loach seine Motivation, auch mit 83 Jahren auf diese Missstände mit immer neuen Filmen aufmerksam zu machen: „Es gibt so viele Geschichten zu erzählen. […] Jeden Morgen wache ich auf und höre im Radio die BBC. Die Berichterstattung [...] ist dort so groß, dass man sich schon bei der ersten Tasse Tee zu ärgern beginnt. Das treibt mich zur Arbeit an.“ (https://www.filmdienst.de/artikel/39937/ken-loach-interview-sorry-we-missed-you).

Die Darsteller:

Der Hauptdarsteller Kris Hitchen (Ricky) ist ausgebildeter Schauspieler, hat allerdings in der jüngeren Vergangenheit überwiegend als Klempner gearbeitet. Seine Partnerin im Film, Debbie Honeywood (Abby) ist Hilfslehrerin für Kinder mit Handicap und hatte bislang nur als Statistin in Filmen mitgearbeitet. Die beiden jugendlichen Darsteller Rhys Stone (Seb) und Katie Proctor (Liza Jane) wurden nach umfangreichen Castings in Schulen gefunden.

Ken Loach beschreibt in seinem Interview mit dem Filmdienst, nach welchen Kriterien er die jeweiligen Darsteller seiner Filme auswählt und dass er  in seinen Drehbüchern und Regieanweisungen immer Raum für Überraschungen lässt. In Sorry We Missed You ist das beispielsweise der Diebstahl des Transporterschlüssels, bei dem selbst die Darsteller nicht wussten, wer ihn genommen hatte. Das führte vor der Kamera zu sehr emotionalen Reaktionen der Filmfamilie, die so nicht geplant, aber umso erwünschter waren.

(https://www.filmdienst.de/artikel/39937/ken-loach-interview-sorry-we-missed-you)

Anregungen zur Diskussion:

Sorry we missed you

Wer vermisst hier wen?
Wer wurde nicht angetroffen/ war nicht erreichbar?
Warum wurde der Titel nicht übersetzt?

Arbeiten als Unternehmer*in

Seines eigenes Glücks Schmied sein, (wie) kann das gehen?
Was sind die Vorteile der Gig-Economy?
Aktuelle Assoziationen?

Care-Arbeit

Würden Sie Ihrem Kind/Patenkind zu diesem Berufsfeld raten?
„Wohin mit Opa?“ - Hätten sie gerne eine Abby als Pflegerin?
Wir werden alle älter, wie wollen wir dann leben?

Familien und ihre Mitglieder

Wer ist in dem Film eigentlich der „Herr“ im Haus?
„Ich mache das nur für euch!“ - Wer bestimmt, was wir uns wünschen?
Sind Frauen doch die besseren Menschen?
„Du sollst es einmal besser haben als ich“ - Bildungserfolg als Generationenvertrag?

Erfolg und Scheitern

Der Film endet offen. Wie stellen Sie sich vor, geht es weiter?
Wenn Lebensträume platzen, woher nimmt man Hoffnung auf einen Neuanfang?
Die Familie im Film löst ihre Probleme alleine. Gäbe es Hilfe? Welcher Art?
Was hat Ricky Turner gemeinsam mit dem biblischen Hiob? Woran „glaubt“ Ricky?

Anja Klinkott: Bücherei- und Medienarbeit im Haus kirchlicher Dienste

The Hate u give

Spielfilm, 2018, USA, Regie: George Tillmann Jr., Lauflänge 128 Minuten, FSK 12, geeignet ab 12 Jahren

Die kleine Starr Carter ist erst neun Jahre alt, als sie eine wichtige Lektion erhält. Ihr Vater Maverick erklärt ihr und seinem zehnjährigen Sohn, wie sich sich im Fall einer Polizeikontrolle zu verhalten haben: Höflich bleiben. Alle Fragen der Polizisten sofort beantworten. Die Hände gut sichtbar auf das Armaturenbrett legen. Die Finger spreizen. Keine Frechheiten. Überlebensstrategie für ein farbiges Kind im Amerika des 21. Jahrhunderts. Zusätzlich händigt Maverick seinen Kindern auch das Zehn-Punkte-Programm der Bewegung der Black Panther aus. Auch ihre staatsbürgerlichen Rechte sollen seine Kinder kennen. Im Spannungsfeld dieser beiden Gegensätze entfaltet sich der Film.

Die Literaturverfilmung des gleichnamigen Romanbestsellers erzählt die Geschichte der 16-jährigen Starr Carter. Sie entstammt einer afroamerikanischen Familie und lebt mit ihren Eltern und Geschwistern in Garden Heights, einem armen, überwiegend von Farbigen bewohnten Viertel. Gewalt und Kriminalität bestimmen den Alltag. Um ihre Kinder aus diesem Umfeld zu lösen, schicken die Eltern Starr und ihre Brüder in eine Privatschule mit überwiegend weißen und privilegierten Schülern. Auch wenn es sie stört, dass sie ihr Verhalten laufend den Ansprüchen der beiden unterschiedlichen Lebensrealitäten anpassen muss, fühlt sie sich in beide Milieus  gut integriert. Das ändert sich schlagartig, als sie erleben muss, wie ihr Kindheitsfreund Khalil bei einer Verkehrskontrolle von einem weißen Polizisten erschossen wird. Starr ist die einzige Zeugin des Vorfalls und muss sich entscheiden, ob sie vor Gericht aussagt und damit zur Zielscheibe von Drogenhändlern wird, für die Khalil gearbeitet hat. Zur gleichen Zeit formiert sich eine Protestbewegung, die den Tod des Jugendlichen nutzt, um gegen Polizeigewalt zu protestieren. Starr erlebt, wie ihre weißen Mitschüler die „Black-Lives-Matter“- Demonstration als Vorwand zum Schule schwänzen nutzen und ihr weißer Freund von ihrem afroamerikanischen Vater aufgrund seiner Hautfarbe abgelehnt wird. Die 16-jährige gerät zwischen alle Fronten und muss herausfinden, welchen Weg sie für ihr weiteres Leben einschlagen möchte.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Jugendroman der Schriftstellerin Angie Thomas, der 2018 mit dem Preis der Jugendjury des deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet wurde und er es 2017 in den USA auf Anhieb in die Bestsellerliste der New York Times schaffte. Verfilmt wurde er von George Tillmann Jr., die Hauptdarstellerin Starr Carter wird gespielt von Amanda Sternberg. Der Titel bezieht sich auf das Lied des amerikanischen Rappers Tupac Shakur „Thug Life“, ein Akronym für „The Hate u give little infants fucks everybody“, zu deutsch etwa: „Der Hass, den kleine Kinder erleben wird alle zerstören“.

Von den Filmkritikern wurde der Film hoch gelobt und mit vielen Preisen ausgezeichnet. In den Begründungen heißt es beispielsweise: „Der Film behandelt Themen wie Rassismus, Vorurteile und rassistisch motivierter Polizeigewalt auf eindringliche, aber jugendgerechte Weise.“ Weiter heißt es, Gewalt werde nicht reißerisch ins Bild gerückt, und einige Situationen und Konflikte seien emotional sehr intensiv, bewegten sich aber in einem Rahmen, der Kinder ab 12 Jahren nicht überfordere (Freigabebegründung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, 2018). Von der Deutschen Film- und Medienbewertung wurde The Hate U Give mit dem Prädikat Besonders wertvoll versehen. In dieser Begründung wird herausgehoben: „Das tiefgründige Drehbuch verleiht jeder der zahlreichen Figuren Tiefe und Brüche und macht so deren Erleben und Handeln schlüssig und nachvollziehbar. In diesem Film ist kaum jemand wirklich böse oder nur gut, sondern zeichnet sich vielmehr durch ein vielschichtiges Innenleben aus, das den Personen eine große Glaubwürdigkeit und Authentizität verleiht“ (Deutsche Film- und Medienbewertung, 2019).

Der Film spricht ein junges Publikum an, ist aber gleichermaßen für Erwachsene geeignet und kann, gerade in Anbetracht der aktuellen „Black-Lives-Matter“-Debatte in den USA sowohl im Unterricht wie auch in der Erwachsenenbildung hervorragend eingesetzt werden. Der Roman zum Film steht ebenfalls zur Ausleihe zur Verfügung.

Anja Klinkott: Bücherei- und Medienarbeit im Haus kirchlicher Dienste

Bild: Memed_Nurrohmad, Pixabay